Zeitzeugen-Interviews von Thomas Muggenthaler (27. Januar 2012)

Der am 11. Januar 2012 gegründete Verein „Stolpersteine für Landshut – gegen das Vergessen e.V.“ tritt bereits am 27. Januar 2012, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, mit einer Informationsveranstaltung an die Öffentlichkeit.
Der Regensburger Journalist Thomas Muggenthaler stellt in einem Überblick das Leben einiger ehemaliger jüdischer Bürger*innen von Landshut dar. Er hat Helmut Teichner, Anna Jakobius und Martin Anson (Ansbacher) im Sommer 1989 in Landshut zu Interviews getroffen. Diese drei Zeitzeugen wurden vom damaligen OB Josef Deimer als Geste der Versöhnung nach Landshut eingeladen.
Tondokument (und Video-Aufzeichnung) aus dem Rathaus (link folgt)
„Die Gleichschaltung der Turn- und Sportvereine nach der Machtergreifung derNationalsozialisten 1933“
Schon am 04. Mai 2012 findet der nächste Vortrag zum Thema „Die Gleichschaltung der Turn- und Sportvereine nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933“ statt. Der zweite Vorsitzende des Stolpersteinevereins führt die Zuhörer*innen in das Thema ein und stellt dieses in den historischen Gesamtzusammenhang.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
  • 30. Januar 1933 Machtübertragung der Regierungsgeschäfte an Adolf Hitler, denFührer der NSDAP, durch den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.
  • Monopolisierung der Macht durch schrittweise Aushöhlung der Demokratie, gestützt durch scheinlegale Gesetzesmaßnahmen
  • Zentralisierung der Diktatur durch Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers unddes Reichspräsidenten in Personalunion auf die Person Adolf Hitler nach dem TodPaul von Hindenburgs am 1. August 1934.
  • Zerschlagung der Grundrechte und Aufhebung der Gewaltenteilung.
  • Diskriminierung und Diffamierung der Andersdenkenden
  • Gleichschaltung des gesellschaftlichen Lebens: die NS-Gesellschaft verachtet „entartete“ Kunst, hört keine „entartete“ Musik, liest nur Blut- und Bodenliteratur aus dem vorgegebenen Literaturkanon; andere Literatur wird verbrannt.
Perversion der Friedensidee der Olympischen Spiele durch die Nationalsozialisten im Jahre 1936: diese sollten für die innen- und außenpolitischen Zielsetzungen des Hitlerregimes nutzbar gemacht werden, ein Propagandawerk für den Faschismus.
Nicht alle standen hinter dieser Idee: Es wurde zum Boykott der Berliner Olympiade aufgerufen, allen voran die internationale Arbeitersportbewegung. Auch Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, und andere sprachen sich gegen die Durchführung der Olympischen Spiele in Deutschland aus.
Besonderes Aufsehen erregte der am 11. Juli 1936 in der „Pariser Tageszeitung“ veröffentlichte Brief eines Mitglieds der österreichischen Olympiamannschaft, der 17jährigen Schwimmerin Judith Deutsch. In dem Schreiben heißt es: „Ich kann als Jüdin an den Olympischen Spielen in Berlin nicht teilnehmen, weil mir das mein Gewissen verbietet. …Wie ernst mir dieser Entschluss ist, mögen Sie bitte daraus ersehen, dass mir ganz bewusst ist, dass ich damit die höchste sportliche Auszeichnung, nämlich in der österreichischen Mannschaft starten zu dürfen, aufgebe.“ Judith Deutsch wurde durch die „Österreichische Turn und Sportfront“ für zwei Jahr gesperrt.
Dass der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland sehr schwierig war und offensichtlich immer noch ist, zeigt ein Eklat aus dem Jahr 1972. Sepp Herberger schwärmte für den deutschen Nationalspieler Gottfried Fuchs vom Karlsruher FV, der bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm für die deutsche Fußballnationalmannschaft beim 16:0 gegen Russland zehn Treffer erzielte. Dieser einmalige Rekord wurde aus der Historie getilgt. Denn Fuchs war Jude. Die Nationalsozialisten zwangen ihn vier Jahre nach der Machtübernahme in die Emigration. Er ging nach Kanada. Sepp Herberger pflegte regelmäßige Korrespondenz mit Fuchs. Er wollte ihn persönlich kennenlernen. Als am 24. Mai 1972 das neue Münchener Olympiastadion eingeweiht werden sollte, schlug Herberger dem damaligen DFB-Vize Hermann Neuberger vor, Gottfried Fuchs als Ehrengast auf Verbandskosten einzuladen, auch „als ein Versuch der Wiedergutmachung willfahrenenUnrechts“. Dieser Vorschlag wurde angesichts der „angespannten Haushaltslage“ abgelehnt.
Nota Bene! Der DFB zahlte im Sommer 1972 jedem Nationalspieler für den Sieg bei der Europameisterschaft 10.000 Mark. Ein Hin- und Rückflug mit der Lufthansa von Montreal nach Frankfurt kostete zu jener Zeit in der Economy-Klasse 1.760 Mark.
Referent des Hauptthemas ist der ausgewiesene Experte Prof. Dr. Lorenz Peiffer von der Leibniz-Universität Hannover. Der Sporthistoriker hat seit Mitte der 1970er Jahre zahlreiche Publikationen zum Thema „Sport in der Zeit des Nationalsozialismus“ veröffentlicht. Deutsche Turn- und Sportvereine und -verbände waren an der Phase der „nationalsozialistischen Revolution“ – dem politischen Machteroberungsprozess – aktiv beteiligt. Dieser Prozess begann bereits in den ersten Wochen und Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. In vorauseilendem Gehorsam entledigten sich deutsche Turn- und Sportvereine und ihre Verbände ihrer demokratischen Traditionen, bekannten sich offen zu den rassistischen, antidemokratischen und militaristischen Zielen der neuen Machthaber und gingen bereitwillig Bündnisse mit den Terrororganisationen der Nationalsozialisten ein. So trugen Turner fortan bei ihren Vereinsversammlungen und -aktivitäten SA-Uniformen oder die der NSDAP oder der SS: Die SA übernahm Ordnungsfunktionen bei dem großen Deutschen Sportfest im Juli 1933 in Stuttgart und beteiligte sich am Unterhaltungsprogramm mit ihren Musikkapellen.
Dieses Thema wurde vom Verein bewusst gewählt, um der Kontroverse die Person Karl Herzer betreffend eine fachlich und historisch objektive Einordnung zu ermöglichen. Im folgenden soll diese Auseinandersetzung mit der TGL nur ganz kurz skizziert werden. Im Vorfeld der Gründung des Stolpersteinevereins wurde die TGL in einem Schreiben gebeten, den Karl-Herzer-Gedächtnis-Preis, der seit 1963 an vorbildliche jugendliche Sportler verliehen wurde, umzubenennen. Die Begründung für dieses Ansinnen lag in der „braunen Vergangenheit“ von Karl Herzer, der somit kein Vorbild für jugendliche Sportler sein konnte.
Er trat bereits vor Machtübernahme der Nationalsozialisten am 1. Dezember 1931 in die NSDAP, Ortsgruppe Landshut, ein. (Mitgliedsnummer 771. 30) Die NSDAP-Ortsgruppe Landshut bzw. die Kreisleitung der NSDAP bestimmte am 11. August 1933 zehn Mitglieder der NSDAP als neue Stadträte. Sämtliche Stadträte waren in Uniform (SA, SS und Stahl-helm) erschienen. Im „Kurier für Niederbayern“ (12./13.8.1933) heißt es unter „Verpflichtung der neuen Stadträte“ – Punkt 3 Uhr betraten die alten und neuen Mitglieder des Stadtrates in SA- und SS-Uniform den Saal. Darunter war auch der „Pg. Karl Herzer, Goldschmied“. Karl Herzer war in allen wichtigen Senaten und Ausschüssen im Stadtrat vertreten, so im Verwaltungssenat, Polizeisenat, Sparkassenausschuss und im Wohlfahrtshauptausschuss.
Auch bei der Ermordung von Dr. Franz Seiff zeigte Herzer als Führer der Feuerwache seinen bedingungslosen Gehorsam, wie es in der Vernehmungsniederschrift heißt: „… Dort (sic. Feuerwehrhaus, um 6.00 Uhr morgens) erklärte mir Schönberger (Polizeibeamter), dass ich ihm auf Befehl des Oberlt. Eckl einen Tisch, einen Hocker und eine kleine Leiter heraus-geben sollte. Auf meine Frage, wozu die Gegenstände dienen sollen, sagte mir Schönberger auch, dass Dr. Seiff erhängt werden solle. Ich gab diese Sachen heraus, da ich dem Befehl gehorchen musste, denn ich unterstand in meiner Eigenschaft als Feuerwehrführer der städtischen Polizei. Ich ging darauf nach Hause, legte mich wieder hin und stand erst wieder gegen halb acht Uhr auf.“
In seiner Eigenschaft als Führer der TGL forderte Karl Herzer die Jugendlichen immer wieder auf, den Organisationen der NSDAP beizutreten. In seinem Aufruf unter der Überschrift „Der Führer der Turngemeinde schreibt“ heißt es: Die Turnvereine dienten heute der Vorschule „zum Eintritt in die SA, SS und Stahlhelm“. Gleichzeitig ruft Herzer alle SA-, SS- und Stahlhelmleute zum Eintritt in die TGL auf. Der Aufruf endet mit den Worten „Gut Heil!“ und „Heil Hitler“.
Mit diesen historischen Fakten konfrontiert gab sich die Vorstandschaft der TGL zunächst seriös, unaufgeregt und überlegen. So sollte die Personalie Karl Herzer vom Institut für Zeitgeschichte in München nach dessen „brauner“ Vergangenheit abgeklopft werden. Prof. Dr. Udo Wengst vom IfZ bemerkte in einem Schreiben: „Ich halte es nicht für sehr geschickt, einen Gedächtnispreis nach diesem Mann zu benennen. … Es war nicht gut, ihn als Vorbild aufzubauen.“ Diese Einschätzung des IfZ wurde vom Verein allerdings nicht nach außen kommuniziert. Die Vorstandschaft der TGL startete nun mehrere Anfragen auch an namhafte Universitäten, ob man eine Magisterarbeit zum Thema Karl Herzer vergeben könne. Diese Anfragen wurden letztlich alle negativ beschieden. Schließlich wurden zwei Personen und Universitäten gefunden, die sich der Angelegenheit annehmen wollten. Eine Arbeit zum Thema wurde als Zulassungsarbeit zum 1. Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium angefertigt. Diese Darstellung hielt sich sehr im Allgemeinen auf, und es wurden keine konkreten Aussagen hinsichtlich der Person Karl Herzer gemacht.
Die zweite Untersuchung war eine Bachelor-Arbeit an der Universität Jena, betreut von dem renomierten Zeithistoriker Prof. Dr. Norbert Frei. Das Resümee dieser Analyse lautet kurz zusammengefasst: „Karl Herzer war ein engagierter Nationalsozialist.“ Befremdlich wirkte in dem Zusammenhang mit der Erstellung der beiden Arbeiten, dass den Verfassern zugesichert wurde, ihre Anonymität zu wahren, und es somit keine Möglichkeit gab, vor der Erstellung der Arbeiten kritische Anmerkungen zu machen. Was sich aber noch als viel unerträglicher erwies, war die Bekanntgabe der Ergebnisse der beiden Untersuchungen. Der Vorstand referierte in einer wenig spannenden Powerpoint-Präsentation diese Resultate. Und obwohl sowohl die Verfasserin der Zulassungsarbeit als auch der Verfasser der Bachelor- Arbeit anwesend waren, durften sie nicht befragt werden, z.B. nach dem Procedere beim Erstellen der Arbeiten.