Kontakt seit 2013
Im Zusammenhang mit den Recherchen zur Erarbeitung der Ausstellung „Spurensuche“ (2013) sind wir mit Hilfe des Jüdischen Museums in Berlin – große Hilfe waren dabei Mr Aubrey Pommerance und Frau Leonore Maier – auf die Nachfahren der Ansbachers in Schottland gestoßen. Denn Steven und Hilary Anson, wohnhaft in Glasgow, haben den Nachlass von Steven’s Eltern, Martin und Pat (Beate) Ansbacher, dem Jüdischen Museum in Berlin vermacht. Dieser Nachlass beinhaltet viele persönliche Exponate und Dokumente aus dem Vermächtnis von Martin und Beate Ansbacher. Die Sammlung umfasst Dokumente, Fotografien und Objekte aus dem Besitz der Familie Ansbacher/Anson. Den Janker und die Lederhose von Martin Ansbacher, die seine Vorliebe für die bayerische Tracht offenbaren, hätten wir gerne in der Ausstellung gezeigt, aber aus konservatorischen Gründen konnte uns das Jüdische Museum diese Objekte nicht zur Verfügung stellen. Vom Spielerpass des Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes e. V., und vom Mitgliedsbuch des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold von Martin Ansbacher und der Mitgliedskarte des Ski-Clubs Landshut stellte uns das Jüdische Museum hochwertige Kopien zur Verfügung.
Martin Anson (1909 – 2003) stammte aus dem mittelfränkischen Leutershausen. Er wurde am 16. Juli 1909 eben dort geboren. Er war das einzige Kind des Kaufmanns Guido (Gustav) Ansbacher (1879 – 1955) und dessen Ehefrau Babette, geb. Eckmann, (1888 – 19..). Die ersten Schuljahre verbrachte Martin Ansbacher auf der Volksschule in seinem Geburtsort. Ab 1918 besuchte er das Humanistische Gymnasium in der Kreistadt Ansbach. Nach seinem Schulabschluss begann er 1926 eine zweijährige Ausbildung bei dem Textilgroßhandel Aumann & Rapp in Frankfurt/M.. Nach der Ausbildung kehrte er nach Leutershausen zurück und half im Geschäft seines Vaters. In seinem Heimatort spielte Martin Ansbacher Fußball in einem Fußballclub. Als dieser sich ca. Anfang der 1930er Jahre mit dem örtlichen Fußballclub zusammentat, wurden die jüdischen Mitglieder ausgeschlossen. 1929 trat Martin Ansbacher dem Verein „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ bei und wurde Leiter der Ortsgruppe in Leutershausen. Seine politische Aktivität sorgte für Aufsehen in dem kleinen Ort. Des Öfteren wurden die Fensterscheiben des Geschäfts von Familie Ansbacher eingeschlagen. 1931 ging Martin für kurze Zeit nach Berlin und arbeitete im Büro seines Onkels Max Ansbacher, der dort ein Exportgeschäft führte. Im Herbst 1932 folgte er seinen Eltern nach Landshut. Zusammen mit seinem Verwandten Wilhelm Ansbacher, dem ältesten Sohn von Fritz und Selma Ansbacher, eröffnete er einTextilgeschäft mit dem Namen „Textilhaus M. & W. Ansbacher“, in dem „Leib-, Tisch- und Bettwäsche aller Art, Herrenanzugstoffen und Trikotagen“ verkauft wurden. Die beiden Väter unterstützten das Geschäft finanziell und mit ihrer Erfahrung. Martin Ansbacher und Wilhelm Ansbacher waren gleichberechtigte Teilhaber des Geschäfts bis zu dessen Enteignung 1938. In Landshut spielte Martin Ansbacher ebenfalls in einem Fußballverein, der jedoch zwangsaufgelöst wurde, nachdem sich die Mitglieder geweigert hatten, Martin Ansbacher aufgrund seiner jüdischen Herkunft auszuschließen. Martin Ansbacher trat daraufhin dem ersten jüdischen Sportverein in Augsburg bei, der Fußball- und Tennisteams umfasste.
Infolge des Novemberpogroms wurde Martin gemeinsam mit seinem Vater sowie Fritz und Wilhelm Ansbacher zeitweise im KZ Dachau interniert. Da bereits 1933 ein Onkel mütterlicherseits nach London emigriert war, erhielten auch Martin Ansbacher und seine Familie die Erlaubnis, nach Großbritannien einzuwandern. Martin Ansbacher verließ am Ostermontag
1939 Deutschland in Richtung London. Da sein Onkel ihm bereits einen Ausbildungsplatz in Glasgow besorgt hatte, zog er von dort weiter nach Schottland. Nach Kriegsbeginn wurde Martin Ansbacher in Lochgilphead (Schottland) interniert. Nach den Ende des Zweiten Weltkrieges kämpfte Martin Ansbacher für die Restitution seines Anteils des am 9. November 1938 enteigneten Textilhauses. Sein Teilhaber Wilhelm Ansbacher war 1942 deportiert worden und wird im Laufe des Jahres 1942 zusammen mit seinem Bruder Max in dem KZ- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek ermordet. Im Juli 1946 heiratete Martin Ansbacher Beate Einstein, die er schon seit der gemeinsamen Zeit im jüdischen Sportverein in Augsburg kannte.
Beate Anson, geb. Einstein, wurde am 9. Dezember 1916 in Augsburg als einziges Kind von Isak Einstein (1884 – 1942) und dessen Ehefrau Ida, geb. Schloßberger (1890 – 1942), geboren. Sie besuchte zunächst ein Mädchenlyzeum in Augsburg und anschließend eine kaufmännische Privatschule. Während der Jahre 1935 – 1936 und 1939 absolvierte sie verschiedene kaufmännische und hauswirtschaftliche sowie Pflegekurse, unter anderem beim Israelitischen Frauenverein. Im Mai/Juni 1939 emigrierte sie nach Großbritannien und arbeitete als Haushälterin in Greengate (Bradford). In dieser Zeit schrieb sie Gedichte, die das Exil beschreiben und die Sehnsucht nach einer Auswanderung in die USA ausdrücken. Nach Kriegsbeginn war Beate Anson vermutlich für einige Monate im Fraueninternierungslager in Port Erin auf der Isle of Man interniert. Beate Ansons Eltern, Isk und Ida Einstein, wurden 1942 in Auschwitz ermordet.
Martin und Beate Anson bekamen zwei Söhne: Stephen (geb. 1948) und Howard (geb. 1951, gest. 2018). 1950 änderte das Ehepaar den Familiennamen in Anson. Martin Anson starb 2003, Beate Anson fünf Jahre später.
Guido und Babette Ansbacher, geb. Eckmann Guido (Gustav) Ansbacher, geboren am 18. September 1879 in Leutershausen, war einer von vier Söhnen des Ehepaares Heinrich und Rosa Ansbacher, geb. Wittelshöfer. Er übernahm das Textilgeschäft seines Vaters in Leutershausen und lebte dort mit seiner Frau Babette Ansbacher, geb. Eckmann, die am 28. Februar 1888 in Leutershausen geboren worden war, und dem 1909 geborenen Sohn Martin. Das Ehepaar Ansbacher entschied 1932 aus dem mittelfränkischen Leutershausen wegzuziehen und sich in Landshut niederzulassen. Dort lebten sie gemeinsam mit der Familie des entfernten Cousins Fritz Ansbacher in einem Haus. Infolge des Novemberpogroms wurde Guido Ansbacher am 12. November 1938 für mehrere Wochen im KZ Dachau inhaftiert. Guido und Babette Ansbacher folgten im Laufe des Jahres 1939 ihrem Sohn nach Großbritannien und emigrierten nach Glasgow. Guido Ansbacher starb 1955.
Der zweite Kontakt mit den Ansons fand Ende Juni 2017 real in Landshut statt. Es waren von der jüdischen Gemeinde in Augsburg im Juni 2017 ca. 100 jüdische Mitbürger*innen ehemaliger Augsburger Juden und Jüdinnen eingeladen zur 100-Jahr-Feier der Synagoge in Augsburg. Diese war zwar während der Reichspogromnacht auch in Brand gesetzt worden. Jedoch wurde das Feuer schnell wieder von der Gestapo gelöscht, da man befürchtete ein in der Nähe befindliches Tanklager könnte auch mit in die Luft gehen. Zu dieser Feier mit einem sehr ausführlichen und umfassenden Programm kamen auch die Nachfahren der Familie Ansbacher. Sohn Steven reiste mit seiner Frau und einigen anderen Nachkommen aus Glasgow an, während Sohn Howard mit seiner Familie aus Edmonton, Alberta in Kanada nach Augsburg kam. Es waren insgesamt an die 12 Personen, die wir empfangen konnten. Wir vereinbarten als Treffpunkt den Landshuter Bahnhof, weil es von dort nicht weit ist in die Seligenthalerstraße zu den Stolpersteinen bei Hausnummer 60 für den anderen Teil der Familie Ansbacher, Fritz Nathan Ansbacher. Die Gruppe war nicht schwer ausfindig zu machen und so konnten wir uns schnell bekannt machen und das Programm starten. Eigentlich wollte eine Schülerin des P-Seminars „Audioguides“ vom Gymnasium Seligenthal die Gäste durch Landshut führen, hat das dann aber doch lieber dem zweiten Vorsitzenden des Stolpersteinevereins überlassen. Erste Station war – wie gesagt – Seligenthaler-straße 60 mit den sieben Stolpersteinen für Fritz Nathan Ansbacher, seine Frau Selma, die Tochter Elsa Sophie sowie Rosa Hahn und Elsa Kohn die am 31. März 1942 den Freitod wählten. Dazu noch die Steine für die beiden Söhne Wilhelm und Max Ansbacher, die nach Piaski deportiert und dort umgebracht wurden.
Nur Sohn Siegfried konnte nach Amerika emigrieren. Mit seinen Deutschkenntnissen war er dort in der amerikanischen Armee ein gefragter Dolmetscher im Krieg in Deutschland. Und er war einer der ersten, der das KZ Dachau zur Befreiung betreten hat. Er ist im hohen Alter von fast 100 Jahren 2015 gestorben.
Die zweite Station war dann das Wohnhaus der Familien Ansbacher in der Seligenthalerstraße 38. Es ist eine wunderschöne Doppelvilla im Jugendstil mit noch erkennbaren Freskoresten an den Wänden und Barock-Heizkörper. Es ist nicht ganz klar, ob die beiden Familien die beiden Hälften der Villa bewohnt haben oder nur den Teil in der Nummer 38. Es bestand aber zwischen den beiden Häusern ein Durchgang im Inneren. Steven erzählte mir allerdings, dass Martin und seine Eltern im ersten Stock wohnten, und Fritz und Selma Ansbacher im Parterre. Da der zweite Vorsitzende damals noch in der Schulberatungsstelle arbeitete (Hausnummer 36), konnte er sich einen Hausschlüssel besorgen und die ausländischen Gäste zumindest in den zweiten Teil der Villa führen, was bei ihnen große Verwunderung hervorgerufen hat. Steven konnte sich offensichtlich noch an einige Details der Wohnung erinnern, da er wohl mit seinem Vater Martin schon mal in der Villa war.
Der weitere Weg führte uns dann in die Altstadt, wo mir dann Steven ein Foto von dem ersten Geschäft der Ansbachers zeigte, das sich in dem Haus befand, in dem heute das Geschäft Bonita ansässig ist, also Altstadt Nr. 84. Nach den Weg zu den Stolpersteinen ging es dann in die Mittagspause. Anschließend fuhren die Gäste wieder nach Augsburg zurück, weil dort die nächste Feierstunde auf sie wartete.
Bei der Verabschiedung teilte mir Steven mit, dass er mit seiner Frau Hilary gerne eine Woche später nochmal nach Landshut kommen wolle. Da gleichzeitig das Fest der Landshuter Hochzeit stattfand, war an eine Hotelbuchung nicht zu denken bzw. werden da schon mal die dreifachen Übernachtungskosten abgegriffen. Da ja nur das Ehepaar Anson kommen wollte, haben wir sie kurzer Hand in unserem Haus aufgenommen, was sehr inspirierend war. Wir haben uns natürlich intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus und den sich daraus ergebenden Folgen auseinandergestzt. Andere spannende Themen waren wegen des damals bevorstehenden Brexit die Ausgangsposition von Schottland mit ihrer Regierungschefin Nicola Sturgeon. Die Mehrzahl der Schotten lehnt den Brexit ab und sie streben wieder einmal ein Unabhängigkeitsreferendum an. Als ich dann am Abend den Beiden einen – wie ich meinte – sehr guten Whisky (beide Marken über 45 Jahre alt) anbieten wollte, stand der stolze Schotte auf, ging in sein Zimmer und kam mit einer Plastiktüte zurück, worin „sein“ Whisky verborgen war. Also haben wir nicht lange gezankt, sondern uns diesen edlen Tropfen einverleibt. Das ganze Wochenende stand dann im Zeichen der Landshuter Hochzeit. Wir haben die Ansons überall herumgeführt: von der Burg über das Altstadttreiben zum Zehrplatz und zurück. Und am Sonntag dann der Umzug, was den Beiden sehr gefallen hat. Da Steven am Montag noch einen Vortrag in Seligenthal für das PSeminar „Audioguides“ zu halten hatte, haben wir am Sonntagabend noch eine Generalprobe seiner Powerpoint-Präsentation mitverfolgen dürfen. Als dann seine Frau Hilary einmal einen kritischen Einwand äußern wollte, ist er fast ausgerastet. Hilary erklärte dann, dass Steven keine Kritik ertragen kann. Also haben wir ihn in Ruhe seinen Job zu Ende bringen lassen. Interessant wurde es dann am Morgen des nächsten Tages, des Tages seines Auftritts also: nach dem Frühstück verschwand Steven in seinem Zimmer und erschien nach kurzer Zeit wieder total aufgetakelt in einem lilafarbenen Kilt und der entsprechenden Bluse oben herum. So in Schale haben wir dann die zwei nach Seligenthal begleitet.
Nach der Veranstaltung sind sie dann mit Howard und seiner Familie nach Leutershausen weitergereist, um die Geburtsstadt von Stevens und Howards Vater Martin und den Ort des ehemaligen Geschäftes seiner Großeltern zu besuchen. Sie wurden dort herzlich von der Bürgermeisterin und einigen Statdräten und der örtlichen Presse willkommen geheißen. Seit 2016 warten die Familien Anson und wir vom Stolpersteineverein nun auf die Stolpersteinverlegung für Guido und Babette Ansbacher und für ihren Sohn Martin.
Die Ansons haben in Glasgow auch ein Projekt ins leben gerufen, das sich mit den Geschehnissen während der Nazizeit und mit Augenzeugenberichten von Überlebenden beschäftigt..(siehe gatheringthevoices.com)
Im Mai 2021 wurde in Augsburg eine Straßenumbenennung durchgeführt: die Langemarckstraße wurde in Familie-Einstein-Straße umbenannt. Im nächsten Jahr wollen Steven und ein paar befreundete jüdische Bürger*innen eine „Nachfeier“ in Augsburg organisieren. Steven hat nun auch die deutsche Staatsbürgerschaft erteilt bekommen, worauf er mächtig stolz zu sein scheint.
Steven Anson mit seinem neuen deutschen Pass