17. Okt. 2017: Wir sind Juden aus Breslau. Überlebende Jugendliche und ihre Schicksale nach 1933 Filmgespräch mit der Regisseurin Karin Kaper aus Berlin

Überlebende Jugendliche und ihre Schicksale nach 1933.
Protagonisten: Esther Adler, Gerda Bikales, Anita Lasker-Wallfisch, Renate Lasker-Harpprecht, Walter Laqueur, Fritz Stern, Guenter Lewy, David Toren, Abraham Ascher, Wolfgang Nossen, Eli Heymann, Mordechal Rotenberg, Max Rosenberg, Pinchas Rosenberg sowie Jugendliche aus Bremen und Wroclaw.

Sie waren jung, blickten erwartungsfroh in die Zukunft, fühlten sich in Breslau, der Stadt mit der damals in Deutschland drittgrößten jüdischen Gemeinde, beheimatet. Da kam Hitler an die Macht. Ab diesem Zeitpunkt verbindet diese Heranwachsende das gemeinsame Schicksal der Verfolgung durch Nazi-Deutschland als Juden: Manche mussten fliehen oder ins Exil gehen, einige überlebten das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Der Heimat endgültig beraubt, entkamen sie in alle rettenden Himmelsrichtungen und bauten sich in den USA, England, Frankreich, und auch in Deutschland ein neues Leben auf. Nicht wenige haben bei der Gründung und dem Aufbau Israels wesentlich mitgewirkt.

Ein Film von aktueller Brisanz, der ein eindringliches Zeichen setzt gegen stärker werdende nationalistische und antisemitische Strömungen in Europa. Gerade in diesen Zeiten schlägt der Film eine emotionale Brücke von der Vergangenheit in eine von uns allen verantwortlich zu gestaltende Zukunft. Ein Film, der aufzeigt, wohin eine katastrophale Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen führt. Ein Film, der anhand der Lebensschicksale der Protagonisten auch die Gründung des Staates Israel mit den Erfahrungen des Holocaust in Verbindung setzt.

Auf Initiative des Kinoptikums und in Zusammenarbeit mit dem Stolpersteineverein konnten die Besucher des Films im Anschluss ein spannendes Filmgespräch mit der Regisseurin des Films, Karin Kaper, führen.

Kurzbiographien der Protagonisten – Wir sind Juden aus Breslau

Adler, Esther (geb. Ascher)

Geboren 1924 in Breslau. Nach dem Novemberpogrom 1938 ging sie in das »Hachschara-Lager« in Altona- Blankenese, um sich auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Im April 1939 wanderte Esther nach Palästina aus. Zunächst besuchte sie eine religiöse Mädchenschule in Jerusa­lem. Später zog sie in ein Kibbuz bei Haifa und arbeitete zuerst in der Landwirtschaft und dann als Kindergärtnerin. 1947 besuchte sie ihre Eltern in den USA, die noch rechtzeitig Breslau verlassen konnten, und ließ sich dort nieder. In New York absolvierte sie das Jüdisch-Theologische Seminar und arbeitete als Hebräischlehrerin sowie Bildungskoordinatorin für den »Jewish National Fund«.
Sie lebt in der Nähe von Boston.

Ascher, Abraham

Geboren 1928 in Breslau. Der US-amerikanische Historiker erlebte als Kind die Verfolgung der Breslauer Juden. Vor dem Novemberpogrom 1938 gelang es seinem Vater, in die USA auszuwan­ dern. Im Sommer 1939 wanderte Abraham Ascher mit seiner Mutter zunächst nach England aus. Im August 1943 erreichten sie die USA. Familie Ascher ließ sich in New York nieder. Abraham Ascher studierte Geschichte und promovierte in Europäischer Geschichte an der Columbia Univer­isity. Er arbeitete viele Jahre als Geschichtsprofessor an der City University of New York. 2006 ver­öffentlichte er eine Pionierstudie zu der Geschichte der Breslauer Juden in den Jahren 1933-1941.
Abraham Ascher lebt heute in New York.

Bikales, Gerda (geb. Bierzoiiska)

Geboren 1931 in Breslau. Sie stammt aus einer polnisch-jüdischen Familie. Im Herbst 1937 kam sie in die Breslauer jüdische Schule, die jedoch in der Pogromnacht 1938 zerstört wurde. Als Kind er­ lebte sie die Verfolgung der Breslauer Juden. Der Vater Victor Bierzonski verließ Breslau am 8. August 1938. Er kam via Amsterdam in die USA und ließ Frau und Tochter allein zurück. 1939, dank der Unterstützung eines chilenischen Juden, gelangten Gerda und ihre Mutter ins Ausland. Sie flohen durch mehrere europäische Staaten. Im November 1946 konnten sie von Cherbourg/Frank­ reich in die USA ausreisen. Gerda Bikales machte einen Masterabschluss in »Social Welfare« und arbeitete in öffentlichen Einrichtungen.
Sie lebt in New Jersey.

Heymann, Eli (Eliyahu)

Geboren 1926 in Breslau. 1940, als 14jähriger Junge ging er auf die »Hachschara« in Ahrensdorf, wo er eine landwirtschaftliche Ausbildung erhielt. Dort wurden jüdische Jugendliche auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereitet. Nachdem 1941 die Ausbildungsstätte in Ahrensdorf aufge­ löst wurde, musste Eli Heyman bis Frühling 1943 in Neuendorf bei Berlin auf einem Gut Zwangs­ arbeit leisten. Im April 1943 wurde er von dort in das KZ Auschwitz deportiert. Bis zur Liquidie­ rung des Lagers musste er dort schwere Zwangsarbeit leisten. Im Januar 1945 bei der »Evakuie­ rung« von Auschwitz gelangte ihm die Flucht. Eli Heyman erlebte die Befreiung durch die Rote Ar­ mee und emigrierte kurz danach auf illegalem Wege nach Palästina.
Er lebt heute in Jerusalem.

Laqueur, Walter

Geboren 1921 in Breslau. Der US-amerikanische Historiker besuchte das Breslauer Johannes-Gymnasium. Im November 1938, kurz vor dem Pogrom, gelang ihm die Auswanderung nach Pa­ lästina. Dort erlebte er den Zweiten Weltkrieg und den Israelischen Unabhängigkeitskrieg. Seine El­ tern, die in Breslau zurückblieben, wurden in das Durchgangsgetto Izbica bei Lublin deportiert und vermutlich im Vernichtungslager Belzec ermordet. In Israel begann er, als Journalist zu arbeiten. 1955 verließ er Israel und ging nach London. Von 1964 bis 1993 war er als Direktor der Londoner Wiener Library tätig. Er hatte zahlreiche Geschichtsprofessuren inne: u. a. an der University of Chi­cago, Harvard University, Brandeis University, Tel Aviv University und Georgetown University in Washington DC.
Walter Laqueur lebt heute in Washington, D.C.

Lasker-Harpprecht, Renate (geb. Lasker)

1924 in Breslau als eine von drei Töchtern des jüdischen Rechtsanwalts Alfons Lasker und dessen Ehefrau Edith, einer Geigerin, geboren. 1942 wurden die Eltern »in den Osten<< deportiert und er­ mordet. Die Töchter kamen in ein Waisenhaus und mussten in einer Papierfabrik arbeiten. Bei ei­ nem Fluchtversuch wurde sie zusammen mit ihrer Schwester verhaftet, kam ins Gefängnis und schließlich 1943 in das KZ Auschwitz sowie nach Bergen-Belsen, wo die Schwestern am 15. April 1945 die Befreiung erlebten. Die Autorin und Journalistin arbeitete später bei der BBC in London, für den WDR in Köln und das ZDF in den USA.
Seit den 1980er Jahren lebt sie in Südfrankreich.

Lasker-Wallfisch, Anita (geb. Lasker)

Geboren 1925 in Breslau. Die Cellistin ist eine der letzten Überlebenden des Frauenorchesters von Auschwitz-Birkenau. Im April 1942 wurden ihre Eltern in das Durchgangsgetto Izbica im Distrikt Lublin deportiert. Höchstwahrscheinlich wurden sie in einem der Vernichtungslager Belzec oder Sobib6r ermordet. Anita Lasker verblieb in Breslau mit ihrer Schwester Renate. Wegen illegaler Widerstandstätigkeit und Hilfeleistung für französische Kriegsgefangene sowie Fluchtversuche aus Breslau wurde sie im September 1942 verhaftet und ins Breslauer Gefängnis gebracht. Ende 1943 wurde sie in das KZ Auschwitz deportiert, kurz darauf wurde auch ihre Schwester Renate in das Lager verschleppt. Die Musikerin kam in Auschwitz in die von Alma Rose geleitete Lagerkapelle. Im November 1944 wurde sie mit ihrer Schwester in das KZ Bergen-Belsen verschleppt. Dort er­ lebte sie im April 1945 die Befreiung durch die britischen Truppen. 1946 wanderte sie nach London aus. 1949 begründete sie das English Chamber Orchestra.
Anita Lasker-Wallfisch spielte weltweit auf Konzerten und lebt heute in London.

Lewy, Guenter

Geboren 1923 in Breslau. Im März 1939 emigrierte er in das britisch verwaltete Palästina. 1942 schloss er sich der Britischen Armee an und kämpfte in der »Jüdischen Brigade«, u. a. in Italien. 1946 zog er in die USA und studierte am City College of New York, anschließend promovierte er an der Columbia University. Er lehrte als Politikwissenschafter am Smith College und am Amherst College der University of Massachusetts.
Guenter Lewy lebt heute in Washington, D.C.

Nossen, Wolfgang

Geboren 1931 in Breslau. Sein Vater wurde 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Buchen­ wald verschleppt. Da seine Mutter Ende der 1930er-Jahre zur evangelischen Religion zurückkehrte, konnte sie zunächst ihre Kinder vor der Deportation schützen. Im Frühjahr 1945 gelang es der Fa­ milie Nossen in Breslau unterzutauchen. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945, leb­ te er mit seiner Mutter und Schwestern im Versteck. Im Herbst 1945 zog Wolfgang Nossen mit sei­ ner Familie nach Erfurt. 1948 wanderte er nach Israel aus und nahm am Unabhängigkeitskrieg teil. Wolfgang Nossen kehrte nach Deutschland zurück und stand von 1995 bis 2012 der jüdischen Ge­meinde in Thüringen vor.
Er lebt heute in Erfurt.

Rosenberg, Max (Yermiyahu) & Pinchas

Pinchas Rosenberg wurde 1921 in Breslau geboren; zwei Jahre später, 1923, kam sein jüngerer Bru­ der Max zur Welt. Beide Brüder, sowie ihre jüngere Schwester, wuchsen in einem religiös-orthodo­ xen Elternhaus auf und besuchten eine jüdische Schule in Breslau. Ihren Eltern gelang es vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, Max und Pinchas mit der »Jugend-Alija« nach Palästina zu schicken. Ebenfalls konnte ihre jüngere Schwester mit einem der »Kindertransporte« nach England emigrieren. Ihre Eltern wurden im März 1943 von Breslau aus in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Max und Pinchas gelangten, nach einer über drei Monate langen Fahrt, über Rumänien nach Palästi­na. Ihr Schiff wurde durch die Briten gefangen genommen und die Brüder in das Gefängnis in Atlit geschickt. Nach ihrer Entlassung schloss sich Max der israelischen Armee an und kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg.
Die Brüder leben heute in Israel: Max in Petach Tikva und Pinchas in Jerusalem.

Rotenberg, Mordechai

geboren 1932 als Manfred Rotenberg in Breslau. Sein Vater, ein in Warschau geborener chassidi­scher Gelehrter, besaß in Breslau die »Buchdruckerei Rotenberg«. 1939 gelang es der Familie Ro­tenberg aus Breslau zu fliehen. Über Jugoslawien gelangten sie nach Triest und von dort aus mit ei­nem Schiff nach Tel Aviv. Mordechai Rotenberg nahm als Jugendlicher am israelischen Unabhän­gigkeitskrieg teil. Er studierte Soziologie und Psychologie an der Hebräischen Universität und lehr­te in Berkeley und New York. An der Hebräischen Universität in Jerusalem wurde er zum Professor der Psychologie und Religion berufen. Professor Mordechai Rotenberg wurde 2009  sein soziales Engagement mit dem renommierten Israel-Preis ausgezeichnet.
Er lebt heute in Jerusalem.

Stern, Fritz Richard

Geboren 1926 in Breslau. Der US-amerikanische Historiker besuchte das Breslauer Maria-Magda­ lenen-Gymnasium. Im September 1938 gelang es seiner Familie, in die USA auszuwandern. Stern studierte an der Columbia University in New York Geschichte und promovierte dort 1953. 1963 wurde er dort zum ordentlichen Professor für Geschichte berufen. Bis auf Unterbrechungen wegen zahlreicher Gastprofessuren in den USA und im Ausland blieb er bis zu seiner Emeritierung in die­ ser Position. Sowohl in den USA als auch in Deutschland war er als angesehener Historiker und Ex­perte der deutschen Geschichte geschätzt.
Fritz Stern verstarb am 18. Mai 2016 in New York.

Toren, David (Klaus-Günther Tarnowski)

Geboren 1925 als Klaus-Günther Tarnowski in Breslau. Der Vater war Rechtsanwalt und wurde am frühen Morgen des 9. Novembers 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald ver­ schleppt. David Toren verließ Breslau 1939 mit einem »Kindertransport« nach Schweden und ge­ langte von dort nach Palästina. Seine Eltern wurden im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. David Toren lebte bis 1954 in Israel, danach zog er in die USA. Er ließ sich in New York nieder und wurde erfolgreicher Patentanwalt.
David Toren lebt in New York.