09. Nov. 2018: Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht in Landshut

Das ganze Jahr 2018 war der Verein damit beschäftigt, die Gedenkfeier zum 80. Jahrestag
der Reichspogromnacht in Landshut, die wir in einem größeren Rahmen gestalten wollten,
zu organisieren. Schnell war klar, dass eine solche Feier nur dann professionell aufgezogen
werden und erfolgreich sein kann, wenn mehrere Kooperationspartner zusammen agieren.
Erfreulicherweise gestaltete sich die Suche nach mitarbeitenden Institutionen gar nicht so
schwierig. Bald war man sich mit folgenden Gruppierungen einig und konnte sich sodann
an die detaillreiche Kleinarbeit machen.
Veranstalter: Verein Stolpersteine für Landshut – gegen das Vergessen e.V. in Kooperation
mit:
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Landshut
DOM – deutsch-russisches Haus für Begegnung, Bildung und Kultur in Landshut e.V.
Evangelische Kirche
Katholische Kirche
Christliches Bildungswerk
Kommunale Jugendarbeit Landkreis Landshut (KOJA)
Runder Tisch gegen Rechts Landshut
Stadt Landshut
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Landshut

Für den Verein war es ein besonderes Anliegen, nachdem wir mit den Familien Landors einen persönlichen Kontakt aufgebaut und regelmäßig gepflegt haben und weiterhin pflegen, diese Angehörigen zu der Gedenkfeier in Landshut einzuladen. Erfreulicherweise sind elf Nachkommen, die wir bereits in den Jahren vorher kennengelernt haben, dieser Einladung gefolgt und haben aktiv an der Veranstaltung teilgenommen.

Die Veranstaltung wurde mit einem informativen, sachbezogenen Flyer beworben:
„Wir werden diesen Gedenktag zusammen mit Angehörigen der Familie Hirsch begehen können. Die Urenkel von Adolf und Cilly Hirsch und deren Kinder und Freunde werden bei uns sein, um an die Menschen zu erinnern, die durch das NS-Regime erniedrigt, entrechtet, gedemütigt, ausgegrenzt, vertrieben und ermordet worden sind. Adolf und Cilly Hirsch waren die Inhaber des Bekleidungsgeschäftes Hermann Tietz Nachf. (Hertie) in der Landshuter Theaterstraße 55 – 57. Aufgrund seines hohen Alters übergab Adolf Hirsch die Geschäftsleitung an Dr. Richard Landauer und Helmut Teichner. Dr. Landauer war mit Edith Hirsch verheiratet.
Adolf Hirsch wurde am 01. Juni 1942 verhaftet und in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er an den schlimmen Lagerbedingungen am 22. September 1943 stirbt. Cilly Hirsch stürzte bei einer Hausdurchsuchung durch die Gestapo aus dem Fenster, wurde schwer verletzt und verstarb im Landshuter Klinikum am 30. Oktober 1941. Im Krankenhaus wurde sie von der Gattin des SA-Sturmbannführers Odette gedemütigt und musste das gemeinsame Krankenzimmer verlassen, und ihr Bett wurde auf den Flur gestellt.
Auch die beiden Familien Ansbacher wurden in der Reichspogromnacht angegriffen und ihres Besitzes beraubt. Für die Familie von Guido Ansbacher werden im nächsten Jahr Stolpersteine in der Seligenthalerstraße 38 verlegt.
Antisemitismus ist in letzter Zeit wieder stark in den Fokus gerückt und jüdische Mitbürger* innen werden attackiert, wei sie die Kippa tragen. Das ist eine Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft, der wir mit einer Linie der Null-Toleranz begegnen müssen. Die rechten Judenhasser dürfen keine Morgenluft wittern und nicht die Möglichkeit finden, bei der Mitte der Gesellschaft anzudocken.
Mit dieser Veranstaltung wollen wir ein gemeinsames Zeichen setzen gegen den Rechtsruck, der sich in die Mitte der Gesellschaft nicht nur eingeschlichen, sondern offensichtlich schon festgesetzt hat. Diese Art von Politik geht von einer Ungleichwertigkeit der Menschen aus, diffamiert und grenzt aus, stigmatisiert und sucht Sündenböcke, die für deren persönlichen Unbill verantwortlich gemacht werden. Wir wollen aller Opfer des NS-Regimes gedenken und uns an die Worte Max Mannheimers erinnern, der uns ins Gedächtnis ruft: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was passiert ist, aber ihr seid verantwortlich dafür, dass so etwas nicht wieder geschieht!“ Diesen Auftrag wollen wir hiermit erfüllen, indem wir uns von Anfang an wehren gegen undemokratische und menschenverachtende Strukturen, die leider schon in den deutschen Bundestag eingezogen sind.

Wir bedanken uns bei allen Kooperationspartnern, die sich ideell, wissensreich, beratend und sehr unbürokratisch, nicht zuletzt aber auch finanziell eingebracht haben.“

Der zweite Vorsitzende des Vereins begrüßte die Gäste aus England und Schottland:

„Ladies and Gentlemen,
today we are remembering the Reichspogromnacht on 9th November 1938. It was exactly 80 years ago when the Nazis started to commit the genocide against the Jewish people. Among the victims were Jewish citizens from this town as well. It gives me the grestest pleasure, ladies and gentlemen, to tell you that 11 members of the former Landauer family have come (from Scotland and England) to join us in commemorating their ancestors and all the other victims of the Nazi regime. We appreciate it very much.
So on behalf of the association „Stolpersteine für Landshut – Gegen das Vergessen e.V.“, and I’m sure on behalf of all the citizens of Landshut I bid you a hearty welcome.
Now let me, let us welcome Miriam Landor and her husband Jeremy together with their children Naomi, (James) and Eric. And Miriam’s sister Reni Landor. Their father was Robert Felix Landauer.
Karen Landor has come with her daughter Laura. Her brother Francis and his wife Rebecca are accompanied by their children Jessica and Jack. Their father was Stefan Klaus Landauer.
Welcome to all of you, dear friends!
By the way both their fathers went to the grammar school which today is called Hans- Carossa-Gymnasium.“

Für den Gedenkabend haben wir ein umfangreiches, inhaltlich spannendes und wissenschaftlich fundiertes Programm zusammengestellt. Die Veranstaltung fand im Redoutensaal des Bernlochner statt. Erfreulicherweise besuchten mehr als 200 Gäste diese außergewöhnliche Feier. Das Klezmer-Ensemble ZIKORON begleitete den Abend einfühlsam, an den Texten orientiert und auf höchstem musikalischen Niveau. Das zweigeteilte Programm beleuchtete nach den entsprechenden Grußworten die Reichspogromnacht in Landshut. In einem sehr detaillierten Vortrag brachte der Junghistoriker Moritz Fischer den Sachverhalt dem Publikum näher: „Landshut seit heute judenfrei – Die Novemberpogrome des Jahres 1938 in Landshut:“

Den zweiten Teil bestritten die Schauspielerin Antonia Reidel und ihr Kollege Jochen Decker vom Stadttheater Landshut mit einer szenischen Lesung.

Begleittexte zur Lesung am 9. November 2018:

Es folgt nun der erste Teil einer szenischen Lesung. Wir bedanken uns bei den Schauspielern des Stadttheaters Landshut, Frau Antonia Reidel und Herrn Jochen Decker, dass sie diesen Part gerne übernommen haben.
The following scenic reading will be performed by two professional actors of the city theatre of Landshut.
This first text is a letter of Mr. Geistbeck, the Nazi´s trustee in Landshut in his defence and then Paul Hahn´s answer in which he refuses to clear him of.

1) Am 6.9.1946 schreiben Georg Geistbeck und seine Frau Elfriede, wohnhaft in Landshut, Höglberg 11, folgenden Brief an das Ehepaar Hahn in New York: Antonia (Text A)

2) Paul Hahn antwortet am 20. Oktober 1946: Jochen (Text B) Then Paul Hahn writes a letter to the American military commander in Landshut describing once more the situation on 9th November

3) In seinem Brief vom 26. Oktober 1946 an den kommandierenden Offizier der amerikanischen Militär-Regierung Landshut/Bayern stellt Paul Hahn nochmals den Sachverhalt hinsichtlich des Novemberpogroms dar: Antonia (Text C) Another eye-witness, Martin Ansbacher, tells the senior public prosecutor the actions on the 9th November 1938

4) Ein anderer Betroffener und Zeuge, Martin Ansbacher, berichtet in seinem Schreiben vom 30. Mai 1948 an den Oberstaatsanwalt bei dem Landgerichte Landshut/Niederbayern von den Vorkommnissen das Judenpogrom 1938 betreffend: Jochen (Text D)

Now there is the second part of the scenic reading

The first text is the farewell letter of Nathan Ansbacher to the Lord Mayor of Landshut before they committed suicide on 31st March 1942. And then follows the level-headed assessment of the Criminal Investigation Department in Landshut.

5) Nathan Ansbacher schreibt am 31.03.1942 auch im Namen anderer jüdischer Bürger_innen diesen Brief an den OB der Stadt Landshut: Antonia (Text E)

6) Bei der Kriminalpolizei Landshut wird dies folgendermaßen protokolliert: Jochen (Text F)

Die beiden Söhne Max und Wilhelm werden am 3. April 1942 über Regensburg und Piaski/Polen in das dortige Ghetto deportiert. Beide werden im Laufe des Jahres 1942 in dem KZ- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek ermordet.
Both sons Max and Wilhelm were deported on 3rd April 1942 and murdered in the course of the year 1942 in the extermination camp in Majdanek.

Die nachstehende Bildergalerie zeigt 7 Faksimiles von Originaldokumenten zum Thema:

TEXT-B

Bild 2 von 7

Auch die englischen Gäste richteten einfühlsame Worte an das sehr aufmerksame Publikum. Obwohl ihren Vorfahren großes Unrecht und Leid zuteil wurde, und einige von ihnen an den Folgen des Naziterrors starben, fand Miriam Landor Worte der Zuversicht und der Versöhnung. „Ich bin nicht geboren, um den Hass der Menschen zu teilen, sondern das Lachen.“
Ihre Worte wirkten wie ein persönlicher Sieg der Menschlichkeit über den Hass und die Barbarei des Nationalsozialismus.
Was die Täter anging, so handelte es sich um Mitglieder der Landshuter Stadtgesellschaft, unter ihnen waren etwa Beamte, Angestellte, Handwerker und Unternehmer. Von den 19 Beteiligten, die nach dem Krieg angeklagt wurden, sei niemand verurteilt worden. Wie schwer sich auch Landshut mit der Aufarbeitung dieses und anderer Kapitel der NS-Geschichte lange getan hat, darauf ging Bürgermeister Dr. Thomas Keyßner ein. Es sei ein holpriger Weg in den letzten Jahrzehnten gewesen. Umso ermutigender sei es, wenn junge Menschen zu dieser Geschichte forschen. Ähnlich formulierte es Konrad Haberberger, Vorsitzender des Vereins „Stolpersteine für Landshut – Gegen das Vergessen“: „Erinnerungsarbeit, wie diese auch in Landshut seit einigen Jahren stattfindet, ist sehr wichtig gegen den aufkommenden Rechtsextremismus und Rassismus in unserer Gesellschaft.“ Eben diese Erinnerungsarbeit brachte den Kontakt zur Familie Landor hervor. Es gab durchweg positive Resonanz und bestärkendes Feedback auf diese für Landshut Verhältnisse überragende und bewegende Gedenkfeier: „Das war ein sehr professioneller, berührender, gelungener, überzeugender, schöner Abend.“ lautete etwa das Fazit einer aufgeschlossenen Bürgerin aus dem Landkreis.