03. Mai. 2017: Raub von Kulturgut! Der Zugriff des NS-Staates auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte! Referent: Dr. Jan Schleusener

Kurz nach dem Novemberpogrom beschlagnahmte die Geheime Staatspolizei in etwa 70 jüdischen Haushalten in München und Umgebung rund 2.200 Kulturgüter. Sie leitete damit eine der größten staatlichen Kunstraubaktionen im sogenannten Altreichsgebiet also München ein. Beteiligt waren Kunstsachverständige, Kunsthändler und Leiter von Museen (Bayerische Staatsgemäldesammlung, Bayerisches Nationalmuseum, Städtische Galerie, Historisches Stadtmuseum), staatliche und städtische Einrichtungen sowie Institutionen der NSDAP. Die konfiszierten Kunstgegenstände gelangten an unterschiedlichste Orte; das Spektrum reichte von Galerien und Museen über das Münchner Oberfinanzpräsidium und die Gauleitung München-Oberbayern bis zur NSDSAP-Parteikanzlei in München. Jüdisches Eigentum haben sich die Nationalsozialisten in ihrem gesamten Machtgebiet einverleibt. Die wenigen Juden, die den Holocaust überlebten, wurden erst gedemütigt und gepeinigt und dann um Hab und Gut gebracht. Die meisten wurden dazu gezwungen, ihr Eigentum weit unter Wert zu verkaufen.
Der Referent des Abends, Dr. Jan Schleusener, arbeitet an der Universität Erfurt am Lehrstuhl für Zeitgeschichte. Sein Buch „Raub von Kulturgut“ ist das Ergebnis eines Forschungs- und Kooperationsprojekts seines Lehrstuhls mit den staatlichen und städtischen Museen Münchens. Einen Antrieb für die aktuellen Forschungen lieferte der Zufall im Jahre 2007. Mitarbeiter des Stadtmuseums entdeckten im Keller einen alten Schreibtisch, der Akten mit der Aufschrift „Ehemaliger Judenbesitz – Wiedergutmachungsakt“ enthielt. In diesen „Beschlagnahme-Protokollen“ hatten die Nazis genau aufgelistet, welche Münchner Sammlung Ende 1938/39 von ihnen bestohlen und ausgeraubt worden war. In München brauchten die Nazis bei ihrem Raubzug keinen großen Widerstand befürchten, da die jüdische Bevölkerung bereits entsprechend eingeschüchtert worden war. Bis 1945 bezeichneten die Nazis ihren Raub als „Sicherstellung national wertvollen“ Kulturguts, die Beschlagnahme hätte nur dem Schutz der Eigentümer vor Wertverlust gedient. Viele Nazi- Gestalten, die damals in Ämtern, als Kunstexperten und Museumschefs mitmischten, erhielten ihre Posten wieder zurück und sind bis heute unbehelligt geblieben. Der Umgang der frühen und mittleren Bundesrepublik Deutschland mit diesem NS-Raubzug diene als Beispiel dafür, wie nachsichtig und sanft mit den Alt-Nazis umgegangen worden sei.

Über das räuberische Gebaren der Nazis in Landshut, wo die Dimensionen der Raubkunst sicher nicht so überwältigend waren wie etwa beim Münchner Kunstsammler Cornelius Gurlitt, müsse man natürlich auch davon ausgehen, dass sich viele NS-Schergen Besitztümer unter den Nagel gerissen hätten, die ihnen entweder gefielen oder von denen sie annahmen, dass sie wertvoll sind. Zur Beute gehörten unter anderem Geld und kostbares Besteck. Besonders galt dies nach der sogenannten Reichskristallnacht vom 9. November 1938. Im Vergleich zu München war die jüdische Gemeinde Landshuts überschaubar, aber auch deren Angehörige mussten unsägliches Leid ertragen. Als Beispiel seien hier die aus Franken stammenden Familien Ansbacher, die im Herbst 1932 das Bekleidungsgeschäft Martin & Wilhelm Ansbacher eröffneten, genannt. Martin Ansbacher, einer der wenigen Holocaust-Überlebenden, kam sich schon damals in Landshut „beinahe wie in einem anderen Land“ vor. Die Ansbachers hatten ihr Geschäft bis 1935/36 im Altstadthaus Nummer 78 (?), später am Isargestade 728. Beiden Familien gehörten seit 1932 der nördliche Teil des Hauses Seligenthalerstraße 38, wo sie auch wohnten. Das Textilgeschäft wurde nach dem November-Pogrom liquidiert.
Nach dem Krieg berichtete der Überlebende Martin Ansbacher davon, dass seine Angehörigen und er 1933 nur deshalb aus der Schutzhaft entlassen worden seien, nachdem sie sich bereiterklärt hätten, der SA und der NSDAP „eine beträchtliche Summe Geldes zu bezahlen. Die Wohnungen der Ansbachers in der Villa Seligenthalerstraße kaufte die Stadtgemeinde. Die wiederum vermietete das Gebäude an die NS-Frauenschaft, die eine NS-Bräuteschule einrichtete.
Ein anderes Beispiel ist die Familie Hirsch. Adolf Hirsch ließ um die Jahrhundertwende das neue Kaufhaus Hermann Tietz an der Theaterstraße errichten. 1901 eröffnete der Geschäftsbetrieb. Im Zuge der Arisierung übernahm Dr. August Brandl das Kaufhaus, das am 18. November 1938 unter dem Namen „Modehaus Brandl“ neu eröffnet wurde.