„Morgen ist ein andrer Tag!“
Mit diesen Worten verabschiedete sich Max Maurer von den dreizehn ausgemergelten, fahlen und untergewichtigen Häftlingen. Er hatte diese zusammen mit seinem Neufahrner Kollegen Josef Kimmerling auf den Hof der befreundeten Bauersfamilie Gnadl in Prinkofen gebracht. Dort konnten sie sich in der Scheune verstecken und die Nacht verbringen. Zudem wurden sie mit einer Kartoffelsuppe und Brot versorgt. Es war Samstag, der 28. April 1945, 18.00 Uhr. Der AK Geschichte Ergoldsbach hat zusammen mit der Stiftung Weiße Rose e.V., der MS Ergoldsbach und der Marktgemeinde Ergoldsbach zu einer Online-Gedenkfeier am 27. April 2021 eingeladen. Ganz besonders bemerkenswert war auch die dialoge Anwesenheit von mehreren Angehörigen der Geretteten aus den USA: Familie Rauchwerk und Dr. Ruth Faden, Tochter von David Rubin.
Und sehr bewegend waren die Grußworte, die der letzte noch lebende Zeitzeuge aus der Gruppe der Geretteten, Moritz Angel (Moses Ancselovics), an die Zuhörer*innen richtete. Er bedankte sich noch einmal bei den freundlichen Menschen von Ergoldsbach, die ihn gerettet hatten und ihn auch im Krankenhaus gesund pflegten.
Widerstand und Risiko, Referent Franz Gervasoni
Martinshaun, 28. April 1945: Ein junger Franzose – er war als Hilfsarbeiter unterwegs -, der erst sechs Wochen vorher geheiratet hatte, wird spät nachmittags in Martinshaun standrechtlich von SS-Truppen erschossen. Sein Vergehen: er hatte sich gegen das Regime geäußert und war denunziert worden.
Landshut, 29. April 1945: Regierungsrat Dr. Franz Seiff wird am Viehmarktplatz aufgehenkt. Sein Vergehen: Vor dem Einmarsch der Amerikaner ließ er zwei Bayernfahnen an seinem Haus hissen. Diese Aufzählung ließe sich immer weiter fortsetzen in einem System, das auf Terror, Gewalt, Menschenverachtung, Misstrauen und Denunziantentum aufgebaut war. Im Untergang erreichte die allgegenwärtige Gewalt des NS-Regimes ihren letzten Höhepunkt. Der systematische Terror stabilisierte das Regime, das damit bis zum Schluss seine Handlungsfähigkeit bewies. Während viele das Kriegsende herbeisehnten, stemmten sich Durchhaltefanatiker gegen Niederlage und Zusammenbruch. Orientierung bot ihnen dabei die tödliche Exklusionslogik der Volksgemeinschaftsideologie: Sie stempelte Zwangsarbeiter, Häftlinge und kriegsmüde Deutsche zu „Rassefeinden“, „Volksverrätern“ und „Defaitisten“, die Volk und Front von innen bedrohten. Tausende fielen so noch in letzter Minute dem Wahn zum Opfer.
In der Endphase des „Dritten Reichs“ eskalierte die nationalsozialistische Gewalt ein letztes Mal. Für das Regime als Ganzes wirkte sie stabilisierend, und für die individuellen Täter bedeutete die Ausübung von Gewalt unmittelbare Machterfahrung.
Gänzlich undurchsichtig wurde der bürokratische Wirrwarr mit dem sog. „Himmlerbefehl“ – auch Nerobefehl genannt – vom 18. April 1945. Dieser Befehl lautete: „Die Übergabe kommt nicht in Frage. Das Lager (es ist wohl das Lager Buchenwald gemeint) ist sofort zu evakuieren. Kein Häftling darf lebendig in die Hände des Feindes kommen. Die Häftinge in Buchenwald haben sich grauenhaft gegen die Zivilbevölkerung benommen.“
Dort wo keine Evakuierung möglich war, sollten die Lager liquidiert werden, d.h. es begann noch in den letzten Kriegswochen ein hemmungsloses, sinnloses Morden. So mussten sich Zehntausende von KZ-Häftlingen in Fußmärschen so schnell wie möglich ins Reichsinnere bewegen. Mehr als die Hälfte der evakuierten Häftlinge kam bei diesen Todesmärsche ums Leben, sei es durch Ermordung oder durch Schwäche und Krankheiten. Der Todesmarsch, der am 26. April 1945 Oberlindhart erreichte, hat drei Wochen gedauert. Er startete im KZ Buchenwald und führte über Weimar, Weiden, Flossenbürg nach Regensburg. Schließlich gelangte der Transport über Neufahrn, Pfaffenberg nach Oberlindhart und letzen Endes dann nach Ergoldsbach. Dabei legten die Häftlinge etwa 600 Kilometer zurück. Viele Leichen pflasterten den beschwerlichen Weg, wie auch der jüdische Friedhof, der „Friedhof der 67“, bei Steinrain beweist.
Während des gesamten Marsches kamen etwa 1.300 Häftlinge zu Tode durch Entkräftung, durch scharfe Hunde oder die Kugel. Der Obersturmbannführer führte peinlich genau Buch über die täglichen Erschießungen und die Todesschützen. Solche Hinrichtungen fanden auch nach Lust und Laune statt: So kam es vor, dass ein Häftling nach seinem Geburtsmonat gefragt wurde, und wenn er den April angab, dann hieß es: „Jetzt ist April, und es wird Zeit, dass du erschossen wirst.“ Genauso wurde mit der Angabe des Alters eines Häftlings verfahren.
Menschen, die Mitleid mit den Häftlingen entlang des Weges empfanden, versuchten ihnen Brot oder Kartoffeln zuzustecken. Andere helfen ihnen bei der Flucht oder verstecken sie. Das Risiko ist groß, denn die SS tötete solche Helfer selbst wenige Stunden vor dem Eintreffen der US-Truppen.
Genauso risikobehaftet war die Rettungstat von Ergoldsbach durch Josef Kimmerling, Anna Gnadl und Max Mauer, deren Leben in der Nacht von Samstag auf Sonntag – 28. auf 29. April 1945 – buchstäblich an einem seidenen Faden hing. Entgegen der nicht nachvollziehbaren Meinung, die bei der Diskussion um die Schulbenennung vielfach im Marktgemeinderat geäußert wurde, Max Maurer und seine Mithelfer Josef Kimmerling und Anna Gnadl hätten dies nur getan, um ihre eigene Haut zu retten, war die Gefahr sein eigenes Leben zu riskieren zu jeder Minute der Aktion real vorhanden. Dies zeigen eben die am Anfang erwähnten Beispiele, und auch Josef Kimmerling wurde angehalten, entflohene Juden sofort zu töten, andernfalls werde er selbst erschossen.
Josef Kimmerling, der Gendarmerie-Postenführer in Neufahrn, hat am Samstag Vormittag (28. April 1945) 13 Personen in seiner Obhut. Da in seiner Arrestzelle nicht so viele Leute Platz hatten, entschließt er sich, die ausgemergelten, vom Tode gezeichneten, wie wandelnde Skelette dahinfallenden und überaus geschwächten Häftlinge zu seinem Kollegen Max Maurer nach Ergoldsbach zu bringen. Da viele von ihnen kaum noch gehfähig waren, lässt dieser sie auf einem Ochsenkarren in Richtung Ergoldsbach transportieren.
Auf Anordnung Max Maurers wurden die 13 Häftlinge vor dem Hof der Gnadls, mit denen Maurer befreundet war, in Prinkofen abgeladen. Er war entsetzt über den körperlich desaströsen Zustand der ihm anvertrauten ehemaligen KZ-Insassen. Seine Aufgabe und auch die Aufgabe von Josf Kimmerling wäre gewesen, diese fahlen, untergewichtigen Gestalten zu erschießen. Beide Polizisten wollen den Häftlingen helfen und so kamen sie mit der Bäuerin Anna Gnadl überein, die völlg ausgezehrten Menschen über Nacht in der Scheune auf dem Bauernhof unterzubringen. Auch werden die Häftlinge mit einer warmen Kartoffelsuppe verpflegt. Einige von ihnen waren zu schwach, um die Kartoffeln durchzuschneiden.
Danach wurden sie angehalten, sich ruhig und unauffällig in der Scheune zu verhalten. Max Maurer verließ um 18.00 Uhr das Anwesen Gnadl, nachdem er den Häftlingen noch Mut zugesprochen hatte, indem er sagte: „Morgen ist ein anderer Tag!“
Max Maurer und seine beiden Unterstützer, Josef Kimmerling und Anna Gnadl, handelten voller Mitgefühl und Tapferkeit und retteten somit 13 jüdischen Häftlingen das Leben unter Einsatz des eigenen Lebens und ohne Rücksicht auf ihre persönliche Sicherheit. Dass die Gefahr bis zum Schluss des Unrechtsregimes präsent war und das eigene Leben immer bedroht war, zeigt die Tatsache, dass am gleichen Abend drei SS-Männer auf dem Gnadl-Hof ein Nachtquartier suchten, das sie im Rossstall, in unmittelbarer Nähe der Untergetauchten, fanden. Das heißt, die Lage war hochexplosiv und äußerst riskant. Zu aller Glück haben die SS-Männer die Häftlinge nicht bemerkt.
Ein anderes Ereignis am selben Tag mag auch deutlich widerspiegeln, wie willkürlich widerständige Aktionen standrechtlich abgeurteilt wurden. Es geschah ebenfalls in Martinshaun am 28. April: Dort waren Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten eingetroffen, und Parteigenossen aus dem Ort waren mit ihrer Betreuung beauftragt. Bei der Zuweisung von Unterkünften kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Flüchtling Josef Langer und den Betreuern. Der Streit eskalierte, und Langer prophezeite den anwesenden Nazis, dass es nicht mehr lange dauern werde, bis die Amerikaner sie zur Rechenschaft ziehen würden. Dies wurde dem Bürgereister des Ortes gemeldet und dieser erstattete prompt der am Ort stationierten ungarischen SS Bericht. Diese brachen sofort auf, ergriffen Josef Langer und erschossen ihn in seiner Unterkunft.
Angesichts der Kombination von brutalstem Terror und geschickter Massenproganda des Staates kann die Rettungstat von Ergoldsbach mit hohem Respekt als sehr mutig und couragiert bezeichnet werden. Anna Gnadl, Josef Kimmerling und Max Maurer haben nach der Rettung ihr bescheidenes Leben weitergeführt. Auch haben sie ihrer Tat keine große Bedeutung beigemessen, es war für sie nichts weiter als ein Akt einfacher Menschlichkeit, weil so ihr christliches Verständnis – „Das hätte doch jeder getan!“