Zahlreiche Menschen aus Landshut und Umgebung – unter ihnen auch viele Mitglieder des Stolpersteinevereins – waren der Einladung zu dieser besonderen Ausstellungseröffnung im Rathausfoyer der Stadt Landshut gefolgt. Diese Ausstellung wurde im Rahmen eines PSeminars Geschichte von Schülerinnen des HCG anlässlich des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht erarbeitet. Sie spannt einen Bogen des Lebens der Juden in Landshut vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Der Schwerpunkt lag dabei auf den unsäglichen Ereignissen der sog. Reichspogromnacht vor Ort und den fatalen Folgen für die nichtarischen Mitbürgerinnen.
Grundlage für die Informationen über die jüdischen Mitbürgerinnen Landshuts war die Publikation von Dr. Mario Tamme „Ich bin so traurig.“ Das Schicksal der jüdischen Landshuter 1933 – 1942.
Zwei jüdische Familien wurden dabei von den Schülerinnen stärker in den Fokus gerückt, weil sie auch zahlenmäßig die größten Familien waren: die Familie Hirsch mit den Landauers und die Familien Ansbacher. Zu Nachkommen dieser beiden Familien konnten Kontakte hergestellt werden, so dass über sie eben viele ergänzende Informationen gewonnen werden konnten. Die Kontakte bestehen übrigens bis heute. Teilen von diesen Bürger* innen gelang die Flucht nach England bzw. Schottland.
Die Ausstellung des P-Seminars des HCG stellt bis dato einen Überblick und Einblick über und in das Leben der jüdischen Landshuter dar, wie es bisher noch nicht so breit publiziert wurde, da man sich in Landshut immer noch schwer tut mit dem sachgerechten, historisch objektiven und unvoreingenommenen Umgang mit diesem düsteren Kapitel der Stadtgeschichte. Deshalb kann diese Austellung auch der Anstoß sein für weitere Forschungsprojekte. Die Resonanz war auf alle Fälle sehr beeindruckend und ermutigend, so dass von vielen Besuchern der Wunsch geäußert wurde, das Ergebnis in Form einer Broschüre zusammengefasst drucken zu lassen. Dank großzügiger Sponsoren konnte das Vorhaben in die Tat umgesetzt werden. Neben den Ausstellungsplakaten enthält die Broschüre auch den Ablauf der sehr beeindruckenden Eröffnungsveranstaltung durch die Schülerinnen des PSeminars. In seinem Grußwort der Stadt Landshut wendet sich der 2. BM Dr. Thomas Keyßner in Vertretung des OB der Stadt Landshut, Hans Rampf, an die Schülerinnen: „Sie, liebe Schülerinnen uns Schüler des Hans-Carossa-Gymnasiums, haben ihr Interesse und Engagement auf diese fundamentalen Fragen gerichtet („Wie konnte es dazu kommen?“
„Wie war es möglich trotz christlicher und humanistischer Werte?“). Dadurch machen Sie Erinnerungskultur in Landshut möglich. Erst recht, wenn Sie die Spurensuche nach den Schicksalen Landshuter Juden in der heutigen Ausstellung so bezeichnen: „Ein Teil von uns.“
Ein bewegender Höhepunkt war dann die vom Projektleiter, StD Franz Gervasoni, vorgetragene Grußbotschaft von Steven Anson, dem Sohn von Martin und Beate Ansbacher, die er aus Glasgow an die Veranstalter gesendet hatte.
„… Die weltweite Schande, die der Nationalsozialismus über Deutschland, einem einstmals bewunderten und respektierten modernen und kultivierten Land, gebracht hatte, wird jetzt mit Ihrer Erinnerung und Versöhnung in positives Licht gerückt. Es ist sehr wichtig, dass die dunklen Momente der Geschichte Deutschlands nicht vergessen werden. Es ist beruhigend, über die gute Arbeit Ihres Projekts Kenntnis zu haben, und darüber, dass Sie solche Gedenkveranstaltungen abhalten. Indem dass permanente Denkmäler in der Form von Stolpersteinen bei den Häusern und Wohnungen, in denen die ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürger Landshuts wohnten, angelegt werden, ehren Sie deren Leben und halten die Erinnerung an sie wach. Im Gedächtnis an meinen Vater und seinen warmherzigen Gefühlen gdegenüber der Stadt Landshut , sind meine Familie und ich erfreut, damit fortzufahren, auf diese Freundschaft und diesen Geist der Versöhnung zu bauen. Die einfache, überall gültige Botschaft, die ich Sie bitte von dieser Veranstaltung heute Abend mitzunehmen und in ihren Herzen zu bewahren, ist:
„Jeder einzelne Mensch muss total intolerant sein gegenüber Intoleranz!“
Die anschließende szenische Lesung der Schüler*innen stellte den minutiösen Ablauf der Reichspogromnacht in Landshut vom 9. auf 10. November 1938 in den Mittelpunkt. Ausgehend von den nächtlichen betriebsamen Aktivitäten bis hin zum Losschlagen der SA-Standarte
16 in der Maximilianstraße 15 auf die jüdischen Geschäfte und Wohnungen um 5.00 Uhr morgens. SA-Standartenführer Paul Theurer und der damalige OB der Stadt Landshut, Karl Vielweib, besprechen in der Nacht das detaillierte Vorgehen gegen die in Landshut lebenden Juden. Die männlichen Juden kommen zunächst ins Landshuter Gefängnis und werden dann am 13.November 1938 ins Konzentrationslager Dachau verbracht, wo sie unterschiedlich lange verweilen mussten. Wilhelm Ansbacher wurde als Letzter am 5. Januar 1939 entlassen. Über den Aufenthalt in Dachau schreibt Martin Ansbacher: „Wir waren die wehr- und hilflosen Opfer brutaler, sadistischer Unmenschen in Uniform. Jeder einzelne Tag war eine nicht enden wollende Kette der Qual und der menschlichen Erniedrigung.“ Frauen und ältere Männer werden gegen Abend wieder entlassen, aber sie hatten ja nun höchstens noch zerstörte Wohnungen. Die Reichspogromnacht ist ein Schlüsselereignis in Landshut. Es ist die größte Ausschreitung gegen jüdische Mitbürger, die jemals stattfindet. Zugleich markiert sie einen Wendepunkt in der „Judenpolitik“ des NS-Apparats. Ziel ist ab jetzt nicht mehr Isolierung, Erniedrigung und Vertreibung, sondern Terror, Verfolgung und Vernichtung. Am 9. September 1948 erhob Oberstaatsanwalt Schulze-Brachmann Anklage am Landgericht Landshut gegen die Beteiligten der Novemberprogrome. Hauptangeklagter war der damalige Landshuter SA-Standartenführer Paul Theurer, zusammen mit weiteren 18 SA-Männern. Die Hauptanklagepunkte waren: Freiheitsberaubung, widerrechtliches Eindringen in Wohnungen, Sachbeschädigung, körperliche Misshandlung, Amtsanmaßung- und missbrauch sowie Diebstahl. Es wurden dazu auch Überlebende des Holocausts befragt. So wurden Paul Hahn und Martin Ansbacher mit einem umfangreichen Fragenkatalog ausgestattet, um die Vorfälle aufklären zu können. Dass bei den Aussagen der Beiden natürlich auch Namen genannt wurden, die heute noch einen guten Klang in der Landshuter Gesellschaft haben, konnte erwartet werden. Am 26.06. 1951 wurde von der Strafkammer Landshut das Verfahren eingestellt. Grund hierfür sind §§ 1 und 3 des Gesetzes über Amnestie vom 31. 12. 1949. Hiermit werden alle Verbrechen, die vermutlich mit weniger als 6 Monaten Gefängnis geahndet werden, nicht zur Verhandlung genommen.
Den Abschluss dieser wahrlich sehr detailreichen Lesung bildete der sehr persönliche Abschiedsbrief von Nathan Ansbacher an den OB der Stadt Landshut am Vorabend des geplanten Selbstmordes.
„Unser Leben war uns bisher infolge der Demütigungen schon fast unerträglich. Nachdem wir nun noch ausgewiesen werden sollen, können wir das Leben nicht mehr ertragen und sehen keinen anderen Ausweg mehr als uns mit Gas zu vergiften. … Mein gesamter Nachlass ist testamentarisch geregelt. Das Testament liegt beim Amtsgericht Landshut deponiert.
Nathan Ansbacher
Leider konnten sich meine beiden armen Jungen nicht dazu entschließen ihrem Leben, wie wir, ein Ende zu machen. Gott beschütze sie in ihrem schweren Los.“
Die beiden Söhne Max und Wilhelm werden am 3. April 1942 über Regensburg nach Piaski/Polen in das dortige Ghetto deportiert. Beide werden im Laufe des Jahres 1942 in dem KZ- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek ermordet. Sigi Ansbacher war der einzige Überlebende von der Familie von Fritz und Selma Ansbacher. Im ausgelegten Gästebuch fanden sich besinnliche und auch ermunternde Einträge:
• „Jeder „Baustein“ ist wichtig gegen das Vergessen. Danke für diesen wertvollen Beitrag.“
• „Eure Ausstellung hat mich sehr beeindruckt. Ich bin 1937 in Landshut geboren mit der „Gnade der späten“ Geburt. Schön, dass in Landshut die Stolpersteine verlegt sind. Unsere 6 in München gespendeten Stolpersteine durften dort leider noch nicht verlegt werden. Der Stadtrat hat das ja nicht genehmigt.“
• „Eine sehr, sehr interessante Ausstellung über ein Stück Landshuter Geschichte, das nicht in Vergessenheit geraten sollte!“
In seinem Grußwort für die Broschüre betont der Schulleiter des HCG, OStD Bernhard O’Connor, das besonders Wertvolle dieses Projekt-Seminars.
„Nicht nur forschten die jungen Leute intensiv in den Archiven, werteten akribisch Quellen aus, stellten Details in Bild und Text zusammen, knüpften Kontakte, führten Gespräche und spürten Zeitzeugen nach, veröffentlichten ihre Ergebnisse in einer aussagekräftigen und beeindruckenden Ausstellung und stellen sie im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an der Schule vor. Sie gewannen vor allem auch an persönlicher Reife, Einsicht und Verantwortung, indem sie die grausamen und zutiefst Menschen verachtenden Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern Landshuts insbesondere während der NS-Zeit offen dokumentierten. Für diese couragierte, nachhaltige und öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit einem historisch und politisch wichtigem Thema und für deren Darstellung in dieser Broschüre möchte ich mich bei den jungen Leuten herzlich bedanken. Ihrer großartigen Leistung gebührt unser Respekt.
Bleibt zu hoffen, dass in uns allen dauerhaft das Bewusstsein verankert bleibt. Dass solche Geschehnisse nirgendwo toleriert werden dürfen. Dafür müssen wir und die nachfolgenden Generationen einstehen, dies hieße, tatsächlich aus der Geschichte für die Zukunft gelernt zu haben.“
Der Kursleiter, StD Franz Gervasoni, beleuchtet diese „Spurensuche“ unter dem pädagogischen Aspekt:
„Jede Erziehung nach Auschwitz muss eine andere sein, fordert Theodor W. Adorno in seiner Erziehung zur Mündigkeit. Er befürchtet aber auch, „dass das Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist, und dass die Möglichkeit der Wiederholung, was den Bewusstseins- und Unbewusstseinsstand der Menschen anlangt, fortbesteht.“
Dem gilt es entgegenzuwirken mit einer aufklärerischen, unprätentiösen und festen Vereinbarung im Erziehungskanon der schulischen und außerschulischen pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen: Auschwitz, Faschismus, Terrorrismus, Unterdrückung, Ausgrenzung und Diffamierung darf nicht noch einmal sein, darf sich weder der staatlichen Omnipotenz bemächtigen noch Raum greifen und finden im mikrokosmischen persönlichen wie gesellschaftlichen Umfeld.
Deshalb sind die Einbindung und Teilhabe der jungen Menschen in den Aufarbeitungsprozess verpflichtende Aufgabe aller pädagogischen, aber auch staatlichen Institutionen. Die Sensibilisierung für und das Bewusstmachen von menschenverachtenden und infolgedessen verbrecherischen Strukturen muss in einer pluralistischen Gesellschaft eine gemeinsame Sache sein, gegen die alle demokratisch eingestellten, humanistisch gebildeten und unvoreingenommen denkenden Menschen vorgehen müssen.“
Bei der Ausstellungseröffnung waren auch Herr Pfaffenzeller, ehemaliger Schulleiter des HCG, und seine Gattin anwesend. Leider haben die Moderatorin und der Kursleiter es versäumt, die beiden zu begrüßen. Der Projektleiter hat sich dann im Nachhinein in einem Brief bei den Beiden entschuldigt, denn Herr Pfaffenzeller war ja gewissermaßen auch ein Zeitzeuge. In seinem Antwortschreiben stellt er seine Person in den Hintergrund und gratuliert „zu dem großen Erfolg, den die von Ihnen und Ihren Kursteilnehmern gestaltete und eingehend erarbeitete Ausstellung „… Spurensuche…“ gefunden hat. Auch für mich brachte sie viel Neues und Hochinteressantes, z.B. das Schicksal der Familien Ansbacher.
Zwar habe ich den 9. November 1938 in Landshut erlebt: Meine Familie wohnte außerhalb des Stadtzentrums, entfernt von den Tatorten. Ich war damals ein 13jähriges verspieltes Bürscherl, das sich in erster Linie für Sport, für Tischtennis und Leichtathletik interessierte und damit zu naiv war, die Tragweite und Hintergründe der scheußlichen Ereignisse, die sich natürlich in der Stadt herumsprachen, zu durchschauen. Insofern haben Sie durchaus richtig gehandelt, mich nicht als Zeitzeuge bei der Begrüßung hervorzuheben. …“
Herr Pfaffenzeller war mit Stephan Landauer in einer Klasse.
Nachdem über die Ausstellung und Ausstellungseröffnung auch im Jahresbericht 2013/2014 berichtet worden war, und ehemalige Schüler*innen den zugesandt bekommen oder dieser ihnen vielleicht auch nur zufällig in die Hände gefallen war, geb es zwei interesante Reaktionen von „alten“ Schülern. Ein Prof. Dr. med. M. H., wohnhaft in Mönchengladbach, schrieb folgendes an Herrn OStD O’Connor:
„… gern denke ich an mein Landshuter Gymnasium zurück, an dem ich leider nur vier Jahre (bis 1940) war. Und so habe ich mich sehr gefreut, heute den Jahresbericht 2013/14 zu bekommen. Herzlichen Dank. …Ganz besonders interessiert hat mich der Bericht zu „Schicksale Landshuter Juden“, S.141 ff.. Ich war mit dem jüngeren Landauer in einer Klasse, Robert Felix. Wir haben uns gut verstanden und gingen nach der Schule nicht selten heimwärts ein weites Stück zusammen, bis zur Brücke bei der Heilig-Geist-Kirche, wo er dann nach links zur Altstadt, ich rechts ins St.-Nikola-Viertel ging. Zuletzt sah ich ihn Ende der großen Ferien 1938 in der Straße zwischen Ländtor und Altstadt (Theater-Str. ?). Er war beschäftigt, ein Auto mit Koffern zu beladen. Er sagte mir, die Familie wolle an die Holländische Küste in Ferien. In Wirklichkeit war es wohl die Flucht nach England. …“
In einem zweiten Schreiben von Herrn K. W., wohnhaft in Ebenhausen bei München, und direkt an den Projektleiter gerichtet, stand zu lesen:
„Sehr geehrter Herr Gervasoni, dem letzten Jahresbericht des Hans-Carossa-Gymnasiums, den ein alter Freund mir zeigte, entnehme ich, dass Sie sich mit Zeitgeschichte befassen und dass Sie Schüler dazu bringen, das ebenfalls zu tun. Ich habe am Hans-Carossa-Gymnasium (das damals noch nicht so hieß) 1951 Abitur gemacht. Dem Verein der Freunde des HCG habe ich nur wenige Jahr angehört, er und seine Publikationen waren mir – sagen wir: zu wenig kritisch. Mein – auch bei anderen deutschen Publikationen geknurrter – Satz war: „Man könnte ja direkt meinen, wir seien ein Volk von Widerstandskämpfern gewesen.“
Was über die von Ihnen auf den Weg gebrachten und begleiteten Studien im Jahresbericht steht, klingt mir so, als gingen Sie kritischer zu Werke. Darum dieser Brief. Mein Vater war Richter, ab Herbst 1938 am Landgericht Landshut, ab 1943, gemaßregelt, am Amtsgericht. Sein Fall wäre möglicherweise ein Gegenstand für eine Schüler-Studie: Ein Freispruch (in zweiter Instanz) wegen einer Armbanduhr, die ein Bauer einem loyal arbeitenden Kriegsgefangenen geschenkt hat – und ein gehässiger und drohender Artikel in der NS-Zeitschrift „Deutsches Recht“, in dem u.a. dieses Urteil gebrandmarkt wird: so eine weiche Rechtsprechung sei in diesen Schicksalsjahren unserer Nation unerträglich. Widerstand: ja. Aber: wie vorsichtig! Mein Vater hat das Urteil und den Artikel aufbewahrt, es liegen also beachtliche Originaldokumente vor. (Mehr als diese zwei!) Der Schauplatz ist Landshut, die erste Instanz war Dingolfing. Vielleicht wäre es eine Geschichte in Ihrem Sinn.
Mit schönen Grüßen und guten Wünschen:
Ihr K. W.“
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10. Nov 2023 - 19 Uhr
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